Lehrer an Musikschulen im Fokus musikpädagogischer Forschung
Die Arbeit mit jungen, auch älteren und alten Menschen über die Musik, ist einfach das Interessanteste, was ich mir vorstellen kann (37, 10).
Vom finanziellen Standpunkt her bin ich sehr unzufrieden, würde einen lukrativeren Job wählen und Musik als Hobby ausüben (44, 24).
Meine persönlichen Kräfte und Fähigkeiten kommen in diesem Beruf voll zum Einsatz (41, 12).
Die Bezahlung ist nicht der Qualifikation angemessen (30, 6).
Ich würde jederzeit nochmals Musik studieren, nach dem Diplom aber wahrscheinlich eine technische Ausbildung anstreben, da man hier ein besseres Gehalt-Leistungsverhältnis antrifft und nicht permanent dem unsteten Wohlwollen des Staates ausgeliefert ist (34, 12).
Die Verbindung von Arbeit mit Jugendlichen, Kindern, Erwachsenen, mit musikalischem Tun ist perfekt (35, 10).
Hätte mir damals im Studium mehr methodische Ansätze gewünscht. Die Unterrichtssituation wurde zu idealisiert dargestellt (42, 24).
Die Musikerziehung benötigt staatliche Verantwortung! Nicht erst in der Hochschule, wo das meiste schon passiert ist (40, 10).
… es wird voll verlangt und halb bezahlt (48, 28).
… ist es nicht möglich, in diesem Bereich seine Existenz zu sichern (36, 15).
Wenn Leute an der Hochschule Methodik unterrichten, die noch nie eine Musikschule von innen gesehen haben, sind das keine guten Voraussetzungen (35, 10).
Schlechte Bezahlung, ausschließlich Gruppenunterricht, langfristig muss man sich ein neues Berufsziel suchen (38, 10).
Die hehren Ziele ?in der Ausbildung? waren viel zu weit von der Basis entfernt (35, 10).
Ich finde, Musizieren ist eine wichtige Erfahrung für jedes Kind und eine Bereicherung der Menschen und ich bin froh, anderen diese Erfahrung vermitteln zu können (30, 6). Das einzige, was mir da zur der Stellung des Musikschullehrers so anekdotisch einfällt, ist als mich irgendwo ein Schüler mal gefragt hat: … und was schaffste sonst? (51, 23).
Vorangegangene Statements stammen von Musikschullehrern, die an der ersten Phase unseres Forschungsprojektes – der Pilot-Umfrage – mitgewirkt haben. Da Musikschullehrer im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen, sollen sie sozusagen das erste und das letzte Wort haben.
Öffentliche und private Musikschulen in der Bundesrepublik erfüllen einen kulturellen Bildungsauftrag, welcher einen hohen Grad der Professionalisierung ihres Personals voraussetzt. Dieses wird im Allgemeinen an Akademien, Hochschulen und Konservatorien in mehrjährigen Studiengängen ausgebildet. Dem vergleichsweise hohen Standard an pädagogisch-künstlerischer Qualifikation stehen geringe soziale Absicherung und Aufstiegschancen im Beruf gegenüber. Aufgrund schwieriger Rahmenbedingungen sind häufig ehrenamtliche Tätigkeiten im Berufskontext des Musikschullehrers unumgänglich. Über die beruflichen Arbeitsbedingungen von Musikschullehrern liegen bislang jedoch kaum systematische Studien vor (eine Ausnahme die Studie von Loritz, die jedoch auf Bayern regionalisiert ist). Es erhebt sich die Frage, welchen Stand die Professionalisierung des Musikschullehrerberufes heute erreicht hat. Wie stellt sich das berufliche Umfeld einschließlich der individuellen Entwicklungsmöglichkeiten aus Sicht von Lehrerinnen und Lehrern dar? Ergebnisse der Studie sollen Stärken und Schwächen in der Professionalisierung des Musikschullehrerberufes aufdecken und somit zur Neubewertung des Berufsfeldes beitragen. Strukturelle Veränderungen allgemein bildender Schulen, wie beispielsweise das Modell Ganztagsschule oder die Neustrukturierung des regulären Unterrichtsangebotes durch den sogenannten G-8-Zug (Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur) werden es erfordern, das Berufsfeld des Musikschullehrers sukzessive zu reformieren. Es ist abzusehen, dass es im Wandel der allgemein bildenden Schule nicht ausbleiben kann, nach neuen Inhalten, neuen Wegen, neuen Strukturen, möglicherweise einer neuen Klientel, neuen Kommunikationswegen, neuen Zielen und veränderten pädagogischen Überlegungen mit modifizierten methodisch-didaktischen Konzepten für Musikschulen zu suchen. Bis sich die Ausbildungsstätten auf diese neue Situation eingestellt haben werden, gehen sicherlich noch einige Jahre ins Land. So liegt es vorerst in der Hand der Pädagogen selbst, sich um entsprechende Fortbildungsangebote zu bemühen und diese von den Musikschulen, Musikschulträgern und Verbänden auch zu fordern.
Die Ergebnisse zu diesem berufsfeldanalytischen Forschungsprojekt sind im Juli 2011 beim WWV-Verlag (WorldWideVoice-Music, Sience), Ober-Ramstadt, publiziert worden. Es handelt sich um die erste bundesweite und repräsentative Forschung zu diesem Thema.
Zur Thematik der empirischen Studie zum Beruf des Musikschullehrers von Dr. Reimund Popp am Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik an der Goethe Universität Frankfurt am Main unter der Leitung von Prof. Dr. Hans Günter Bastian:
Eltern schicken ihre Kinder in die Musikschule, damit sie ein Instrument erlernen, oder in einem Chor singen oder in einem Orchester oder einem Kammermusikensemble spielen. Sie können dort kulturelle Bildung in Form von Musikunterricht erfahren. Das Angebot reicht von Elementarer Musikerziehung (musikalische Früherziehung) über instrumentalen Anfänger- und Fortgeschrittenenunterricht bis hin zur Vorbereitung zur Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule. Aber fragen sich diese Eltern, wer ihren Kindern für dieses Bildungsangebot überhaupt zur Verfügung steht? Wer sind diese Musikschullehrer? Wie geht es ihnen in ihrem Beruf? Welche Ausbildung haben sie? Machen die das hauptberuflich? Sind das denn Profis? Haben sie eine instrumentale, pädagogische und entwicklungspsychologische Kompetenz? Besuchen sie regelmäßig Fortbildungen, um mit den Kindern sinnvoll arbeiten zu können?
„Wer Musikschulen schließt, schadet der inneren Sicherheit!“, sinnierte einst der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily. „Bildung ist mehr als PISA, musikalische Bildung erst recht. Wir brauchen Bildung und Erziehung auch jenseits von Nützlichkeit und Verwertbarkeit. Wir müssen den Boden bereiten für Kreativität!“, so der ehemalige Bundespräsident Rau anlässlich eines Festaktes zum 100-jährigen Jubiläum der GEMA, in dem er vor Kürzungen im Bereich der Musikerziehung warnt.
Doch welche Wirklichkeit steht solchen politischen Bekenntnissen zur kulturellen Bildung gegenüber? Sehr viele Musikschulen haben in den letzten Jahren bereits geschlossen oder sind existenziell bedroht. Einsparungen bei der Musikerziehung sind angesichts von Neuregelungen in der Lehrerausbildung unübersehbar. Die kommunalen Kulturhaushalte sind in erster Linie und oft ausschließlich Sportförderungshaushalte, oder sie sind zu Steinbrüchen der Haushaltssanierung verkommen.
Dass Musik eine besonders positive Wirkung auf die kindliche Entwicklung hinsichtlich Sozialverhalten, Intelligenz, Konzentration, Leistungsbereitschaft, Spracherwerb u.v.m. haben kann, zeigt eine wachsende Zahl von Studien, allen voran die Längsschnittuntersuchung des Frankfurter Musikpädagogen Hans Günther Bastian und Mitarbeitern in ihrer im Jahr 2000 veröffentlichten Studie an Berliner Grundschulen. Mit signifikanten Steigerungen der Sozialkompetenz, der emotionalen Intelligenz und mit eindeutig positiven Auswirkungen auf die grundsätzliche Lernbereitschaft von Schülerinnen und Schülern durch verstärkten Musikunterricht liegt nahe, dass musikalische Förderung unersetzbare Qualitäten für eine solide und ausgewogene Bildung unserer Kinder schaffen kann. Der kulturelle Bildungsauftrag, den Musikschulen zu leisten haben, lässt sich vor diesen Hintergründen als kaum verzichtbarer Bestandteil der Allgemeinbildung neu bewerten.
Entgegen landläufiger Meinungen gehen die Angebote von Musikschulen über Instrumental- oder Gesangsunterricht für Kinder weit hinaus. Musikschulen halten qualifizierte Bildungsangebote für die gesamte Lebensspanne bereit. Dies beginnt bei Eltern-Kind-Gruppen und endet beim Singen mit Senioren. All diese Angebote gruppieren sich um den traditionellen Kern musikerzieherischer Arbeit im individuellen Instrumental- und Gesangsunterricht sowie in Ensemblearbeit in den Bereichen Kammermusik und Orchester. Junge Musiker auf ihre Aufnahmeprüfung an Musikhochschulen vorzubereiten ist eine wichtige Aufgabe, doch kaum weniger bedeutsam ist die Pflege der musikalischen Alltagskultur in Zusammenarbeit mit Vereinen, Schulen und Verbänden.
Angesichts schwieriger Rahmenbedingungen, Aufgaben und Verantwortungen, die mit der tagtäglichen Arbeit an Musikschulen einhergehen, scheint eine Frage gänzlich unterzugehen: Wer sind diese Lehrer, die diese Arbeit verrichten, und in ihrem Beruf neue Expertisen erwerben und sich den beständigen Wandlungen ihres Umfeldes, einschließlich vieler belastender Faktoren, ständig neu anpassen müssen? Welche Perspektiven bietet der Musiklehrerberuf aus Sicht der Betroffenen? Wie zufrieden sind sie in ihrem Beruf und welche Auswirkungen hat dies auf deren Tätigkeit? Welche Anstrengungen werden unternommen, um mit den Kindern sinnvoll und auf dem fachlich neuesten Stand arbeiten zu können? Wie lässt sich die Professionalisierung womöglich verbessern und wie zukunftsfähig sind die bestehenden Konzepte, die das Musikschulwesen mitsamt dem Berufsstand des Musikschullehrers erfolgreich tragen?
Mit diesem Forschungsprojekt wird versucht, von Musikschullehrern selbst, konkret von Instrumentalpädagogen, Vokalpädagogen und Früherziehern an Musikschulen des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) Antworten auf diese und weitere Fragen zu bekommen. Um einen möglichst umfassenden Eindruck über die berufliche Situation und die Lebenswelt von Musikschullehrern zu bekommen, sind wir in dieser Studie Fragen zur musikalischen Lebenswelt, zur Biographie, zum Berufs- und Musikschulalltag bis hin zur beruflichen Zufriedenheit von Lehrern an Musikschulen nachgegangen. Die Berücksichtigung möglichst vielfältiger Aspekte soll helfen, die berufliche und – in Grenzen – die persönliche Gesamtsituation des Musikschullehrers aufzeigen.
Insgesamt haben uns 167 Musikschullehrer aus allen deutschen Bundesländern innerhalb dieser Untersuchung Rede und Antwort gestanden. 14 davon wurden in einer vorgeschalteten Pilotstudie per Fragebogen befragt. 42 Lehrkräfte standen als Probanden für Interviews und Gruppendiskussionen zur Verfügung, und 111 Musikschullehrer informierten uns durch einen ausführlichen ‚Repräsentativ-Fragebogen‘ über ihr Berufsfeld. Die genauen Angaben zu den jeweiligen Stichproben sind im entsprechenden Kapitel nachzulesen.
Im Verlauf dieser Dokumentation nutzen wir die Bezeichnung ‚Musikschullehrer’ sowohl für die weiblichen als auch für die männlichen Teilnehmer der Studie.
Möglichst viele Fragen zum Beruf von Musikschullehrern zu stellen und sie mit Hilfe geeigneter wissenschaftlicher Verfahren zu erheben, zu interpretieren und Konsequenzen für die Praxis abzuleiten, erscheint uns wichtig, damit Kindern an Musikschulen optimale musikalische, soziale, menschliche und bildungsspezifische Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden. Eine solche Berufsfeldanalyse über den Berufsstand des Musikschullehrers nutzt somit nicht nur den betroffenen Lehrern selbst, indem Wege zur Verbesserung von Ausbildung und Beruf vorgezeichnet werden, denn die vermeintlich sekundären Gewinner, die Musik lernenden Kinder, sind in Wahrheit die ‚Hauptgewinner‘.
Oktober 2011, Dr. phil. Reimund Popp